Band 59-2014
EDITORIAL
Vor 2000 Jahren verstarb Kaiser August, in seinen letzten Jahren ein Friedensbringer wie eben jener Jesus Christus, der zu diesem Zeitpunkt ein wohl 10-jähriger Knabe war und vermutlich nicht ahnte, dass er der größte Revolutionär der Geschichte und Begründer einer Weltreligion werden sollte. Vor 800 Jahren verstarb Karl der Große, der die Christianisierung Nordeuropas einleitete. Und doch konnte auch die zentrale christliche Botschaft des Friedens nicht verhindern, dass das sich christlich nennende Abendland in die bis dahin größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte taumelte. Dabei steht der sich zum 100sten Male jährende Beginn des 1. Weltkrieges mit seinen am Ende geschätzten 15 Millionen Toten im Schatten des zweiten, der – aus auslösender deutscher Sicht – eine Korrektur des ersten werden sollte, und dies nicht nur wegen der bestialischen Steigerung der Vernichtung und der bleibenden deutschen Schmach vor der Geschichte, sondern auch weil die Älteren von uns ihn unmittelbar oder in seinen Folgen erlebten. Dagegen nimmt sich der deutsch-dänische Krieg von 1864 wie ein Scharmützel aus und war doch für die Betroffenen um nichts geringer. Vor so viel Elend ist es gut, sich auch eines freudigen Ereignisses erinnern zu können, der 25. Wiederkehr des Mauerfalls, der Deutschland in einen kollektiven Freudentaumel stürzte, in dem „Wahnsinn“ zum Wort des Jahres wurde.
Von all dem wird in diesem Heft aus unterschiedlichster Perspektive berichtet. Gleichsam als Einstimmung lassen wir noch einmal die Erinnerungen von Christian Nikolaus Schnittger an den 6.2.1864 aufleben. Wir erinnern gerne an diesen lebendigsten Schilderer in Wort und Bild des Schleswig im 19. Jahrhundert, von dem wir schon einmal (BGSStG 54, 2009) eine Schilderung aus der Gesamtsstaatszeit abgedruckt haben, die ihn als zutiefst deutsch empfindenden Zeitgenossen auswiesen. Entsprechend euphorisch begrüßt er diesen Wendepunkt Schleswiger Geschichte. [image:image-0]Die baulich größte Hinterlassenschaft der Gesamtstaatszeit ist das dänische Lazarett, der sogenannte Paulihof, oberhalb des Neuwerks. Wohl niemand ahnte bei seiner Grundsteinlegung, wie bald dieser für seine Zeit bemerkenswert moderne und großzügige Bau einer ersten Belastungsprobe unterzogen wurde. Das Sanitätswesen lag ja noch völlig im Argen. Erst 1863 wurde das Rote Kreuz gegründet und entsandte erstmals Beobachter nach Düppel und Alsen. Der Geschichte dieses für die Stadtgeschichte so bedeutsamen Areals habe ich einen eigenen Beitrag gewidmet. Der Krieg von 1864 beendete eine vielhundertjährige Verbindung mit Dänemark. Dänemark wurde zu einem europäischen Kleinstaat, die ehemaligen Herzogtümer kamen zur aufstrebenden Großmacht Deutschland, was fast alle wollten, freilich zwei Jahre später als preußische Provinz, was die Mehrheit nicht wollte.
[image:image-1]Die Folgen des 1864-Krieges waren für die Stadt Schleswig gravierender als die der Weltkriege und prägen entscheidend das Stadtbild. In der Gesamtstaatszeit mit Dänemark war Schleswig die sich am deutlichsten zu Deutschland bekennende Stadt und wurde dafür mit der Verlegung der Ständeversammlung nach Flensburg bestraft. 1864 wurde daher als „Befreiung vom dänischen Joch“ umjubelt, der man 50 Jahre später aus einer chauvinistischen Überheblichkeit, die eine der Ursachen der Urkatastrophe des 1. Weltkrieges war, am Lollfuß einen Gedenkstein setzte, an welches Ereignis die von Matthias Schartl und Holger Rüdel kuratierte Ausstellung im Stadtmuseum erinnerte. Auf unsere Bitte hat Matthias Schartl dieses Ereignis noch einmal dargestellt, das Grollen vor dem gesellschaftlichen Urknall, der alle Ordnungen explodieren ließ und eine Zerrüttung hinterließ, die man nicht gerecht zu ordnen verstand, sondern einem heillosen Revanchismus verӿel. Unübersehbar ist ein Wandel in der Denkmalwahrnehmung, insbesondere bei „Siegerdenkmälern“, wie sie sich auch in der Wiederaufstellung des „Idstedt-Löwen“ in Flensburg niederschlägt, die nur durch eine Umwidmung möglich wurde. 150 Jahre zuvor war er als erstes von Flensburger Bürgern niedergerissen worden! Nach dem Rückbau der pompösen Anlage fristet der Schleswiger Stein nunmehr ein Schattendasein, Dokument einer überwundenen Gesinnung. Immerhin zeigt die Entwicklung des deutsch-dänischen Verhältnisses, dass Völker aus ihren Katastrophen auch lernen können. Wir würden den Gemeinsamkeiten gerne größeren Raum geben.
Wir sind Reimer Pohl, der auch an den vergessenen Bildhauer Werner Müller erinnert, dessen Schaffen noch vereinzelt im Stadtbild sichtbar ist, äußerst dankbar, dass er uns aus seiner Familienchronik die Aufzeichnungen seines Vaters, des späteren Direktors der Domschule, aus der Silvesternacht 1939 zur Verfügung stellte, weil sie ein authentisches Zeugnis jener verbreiteten schizophrenen Haltung sind, dass man für ein Regime, dessen Untergang man wünschen musste, den Sieg im nationalen Interesse erhoffte. Pohl begleitete auch die Kinder auf der großen Kinderlandverschickung (KLV) 1943, über die wir schon den bemerkenswerten, weil aktuell verfassten Beitrag von Karl Rathjen auf unseren Internetseiten publiziert haben. Das Thema greift Cornelius Kellner aus der Rückschau auf, von der wir die allgemein gültigen Passagen drucken, während der gesamte Beitrag und das Bildmaterial wiederum im Internet zu verfolgen sind.
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[image:image-6]Längst hat sich Schleswig als bedeutsame Filmkulisse etabliert. Der Beitrag von Kai Labrenz knüpft an einen früheren an, wobei vor allem auch Aspekte, die damals unbedacht blieben, herausgearbeitet werden. Erstaunlich viel ist seither geschehen, auch etwas sehr Bemerkenswertes: in der mittlerweile auf 11 Folgen angewachsenen Serie „Unter anderen Umständen“ wird die Stadt selbst zum Akteur, eine aktive Stadt zwar durch Verfremdungen (z. B. wird der Bischofshof Polizeirevier, die Stadtbibliothek Jugendamt, der Holm dänische Kleinstadt), doch unter Einbeziehung aller Teile, selbst solcher wie des Neubaugebiets Berender Redder, bleibt sie doch unverkennbar Schleswig. Dass dies einen speziellen Tourismus fördert, hat schon die Landarzt-Serie gezeigt.
Oft ist es ein Zufall, der Klärung bringt wie eine versteckte und bislang übersehene Beschriftung auf einer alten Karte. Der findungsreiche Jürgen Hoppmann beendet damit alle Spekulationen um die Lage des alten Wildhofes, dem er schon einen früheren Beitrag gewidmet hatte (BSStG 51, 2006).
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Nun bleibt mir nur noch Ihnen ein gesegnetes 2015 und viel Lesefreude an „Ihren“ Beiträgen zu wünschen.
Ihr
Rainer Winkler
Redaktionsleiter